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Schule des Tarot II: Der Baum des Lebens


H.D. Leuenberger
7. Auflage, Freiburg 1999, ISBN 3 7626 0538 6


Von vornherein sei gesagt, dass es nicht erwiesen ist, dass Tarot überhaupt etwas mit der Kabbala, der jüdischen Geheimlehre, zu tun hat. Die Meinungen klaffen nicht nur in der Grundsatzfrage nach Korrespondenz dieser beiden esoterischen Bereiche auseinander, sondern auch in zahlreichen Aspekten der Kabbalistischen Lehre selbst. Platt gesagt: jeder beansprucht für sich, die Weisheit zu kennen, aber jeder sagt was anderes.

Leuenberger behandelt in seinem zweiten Band ausschließlich die Kleinen Arkana, unter strenger Bezugnahme zur Kabbala. Während er die großen Arkana als die "subjektiven Kräfte" beschreibt, die durch die Bildsymbolik der einzelen Karten im Betrachter geweckt werden, repräsentieren - seinen Ausführungen zufolge - die "Kleinen Arkana" die in Bildersprache übersetzten "objektive Kräfte", denen sich der Tarotinteressierte "aussetzt". Bei Leuenberger ist das Buch Thoth (sprich der Tarot) ganz und gar magisch.
Leuenbergers Zugang zum Tarot verfolgt völlig andere Ziele als dies "Alltagskartendeuter" wohl so tun. Seine Ansicht ist, dass man die Karten nur sehr sehr selten - wenn überhaupt - legen sollte, als Orakel solle man sie schon gar nicht verweden. Seiner Ansicht nach sind die Karten Meditationsobjekt und magisches Werkzeug zu tiefster Selbsterkenntnis.

Leuenbergers Stil möchte eine erhabene und geheimnisumwobene Atmosphäre bewahren. Seine Formulierungen beginnen meistens mit: "Wenn du dich wirklich intensiv und und eingehend mit dem und dem befaßt hast, dürfte es dir nicht schwer fallen, die Bedeutung dieses Symbols selbst zu entschlüsseln....". Was beim wirklich interessierten und geduldigen Leser zurückbleibt, ist häufig das Gefühl, immernoch nicht ernst genug gewesen zu sein, immernoch nicht genug meditativen Einsatz gezeigt zu haben, wenn man denn beim besten Willen nicht drauf kommt, worauf der gute Mann denn jetzt hinaus will. Zu deutsch: als das didaktische Geschick verteilt wurde, war Leuenberger wohl grade nicht anwesend - zu oft ist Verhüllung statt Aufklärung seine Devise. Tja, und allzu enttäuschend mutet es dann an, wenn man aus dem ersten Band bei der Erklärung der Karte Der Stern noch in Erinnerung hatte, dass gerade Leuenberger es war, der betonte, wie sehr uns der Tarot doch zu spielerischem Umgang auffordere.
Wenn etwas nicht nachvollziehbar oder miteinander vereinbar erscheint, bekommt man dann Leuenbergers zweite Devise vorgesetzt: "je schwerer verständlich und weniger zugänglich etwas ist, desto geheimer, magischer und spiritueller muß es sein". Etwas offenlassen oder als nicht erwiesen erklären kann er nicht, stattdessen nimmt er lieber kaum verständliche und nicht mehr nachvollziehbare Verbiegungen in Kauf. Hin und wieder weicht er dabei auch auf seine dritte Devise aus: "Ohne Fleiß kein Preis". (Aber hallo, und ich war fleißig, ich habe mich trotz aller kreativen Enttäuschungen durchgeackert, und sogar oft noch durch dreimaliges Lesen versucht ihm zu folgen!!)

Wer im zweiten Band etwas über den Bezug Kabbala-Tarot erfahren will, muß sich mit 60 Seiten (S. 257-310) zufrieden geben. Die restlichen 340 Seiten beschäftigen sich mit spirituellen Sphären, die - nach Leuenberger - eingentlich viel zu hoch sind, um sie zu beschreiben. Er unterliegt dem Versuch, Weisheit zu lehren, was unmöglich ist. Leuenbergers streng systematisierenden und linkshemisphärisch überbetonten Abwägungen schrumpfen, sobald sie in "alltägliche" Spähren zu gelangen drohen, zu enttäuschend knappen Erklärungen, auf die - mit Verlaub - ein halbwegs versierter Tarotinteressierter meist auch ohne kabbalistisches Hintergrundwissen ebenfalls hätte kommen können. Man hat das Gefühl, Leuenberger bremst sich mit seinem Ernst und einer klammernd-trockenen Denkweise selbst aus.

Dennoch möchte ich auch ein paar heile Haare auf seinen Kopf lassen: Sein erster Band ist meines Erachtens außerordentlich inspirierend geschrieben und auf jeden Fall empfehlenswert!



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